"Interessant wie die Pflege meine Kompetenz hinterfragt!“ Das war ein heftiger Seitenhieb, den der Oberarzt dem jungen Assistenzarzt, vor den Kollegen austeilte. Fassungslos steht der junge Arzt da und begreift erst einmal gar nicht was gerade passiert ist. Verlegen fängt er an zu stammeln und versuche die Röte in seinem Gesicht durch ein "Nein, so war das nicht gemeint" zu verstecken.
Was ist passiert?
Dem Assistenzarzt war aufgefallen, dass der Oberarzt es unterlassen hat dem Patienten bei der Entlassung ein bestimmtes Medikament zu verschreiben. Im Rahmen einer gerade besuchten Fortbildung hatte er gelernt, dass gerade dieses Medikament wesentlich beim Auftreten einer bestimmten Symptomatik, die der Patient zeigte, ist.
Was glaubst Du wie wahrscheinlich es ist, dass der Assistenzarzt nach der obigen Situation noch einmal den Mut aufbringt in einer zukünftigen ähnlichen Situation seine Meinung mitzuteilen?
Eine wertschätzende Reaktion des Oberarztes hätte so lauten können: „Danke, dass Sie das ansprechen! Ich habe das Medikament nicht verschrieben, weil…!“ Erst dann folgt eine kurze Erläuterung, wie es zur Entscheidung gekommen ist. Dieses Verhalten ermuntert zum kritischen Mitdenken und beugt in der Zukunft Fehler vor.
Natürlich können wir von außen urteilen, dass der Assistenzarzt trotz blöder Sprüche verpflichtet ist, sein Wissen zu teilen. Doch wie Wahrscheinlich ist es, dass er es tatsächlich tut?
Momente in denen Vertrauen zerbricht, können minimal sein. Wenn eine persönliche Grenze überschritten wird, ist oft ein solcher Moment. Daher ist es besonders wichtig für Dich als Führungskraft sensibel für die Bedeutung von Grenzen zu sein. Denn es gilt auch, je enger die Beziehung und je grösser die Abhängigkeit, desto schwerer fällt es uns, für uns selbst einzustehen.
Natürlich ist es manchmal unglaublich schwer zu sehen, an welchen Punkten Grenzen überschritten werden und manchmal handelt es sich auch um Befindlichkeiten. Aber gerade deswegen, ist es wichtig in Teams eine Kultur zu etablieren, in der es möglich wird über das Wahren von Grenzen zu sprechen. Denn nur so kommen Fehler offen auf den Tisch und es kann gezielt nach Lösungen gesucht werden.
Ein guter Weg dazu ist es klare Umgangsformen im Team definiert zu haben und diese regelmäßig zu leben. Die Harvard Professorin Amy Edmondson schlägt dafür folgende Fragen zur Selbstreflexion vor:
❓ Habe ich sichergestellt, dass das Team weiß: Ich denke nicht, ich als Führungskraft würde alle Antworten kennen? ❓Habe ich betont, dass wir alle immer dazulernen können? ❓Habe ich klar ausgedrückt: Von allen ist gefordert, demütig und neugierig in Bezug auf das zu sein, was als Nächstes geschieht?
❓Wissen alle: Von allen ist gefordert, die eigene Sichtweise nicht als Nonplusultra anzusehen, sondern offen für andere Sichtweisen zu sein?
Prinzipiell gilt aber auch hier, dass Deine Wahrnehmung für die Grenzen Anderer stärker wird, desto bewusster Du Dir auch über Deine eigenen Grenzen bist. Frag Dich:
❓Wo im Arbeitsleben habe ich Grenzen ein?
❓Was geht mir persönlich zu weit?
❓Wodurch fühle ich mich von anderen Menschen bedrängt oder überrumpelt?
❓Wann habe ich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen?
❓In welchen Situationen fühle ich mich hinterher schlecht, weil ich etwas getan habe, was ich eigentlich nicht wollte?
Lade Dein Team gezielt ein über diese Themen zu sprechen.
Brené Brown ist es gelungen Vertrauen in 7 Facetten runterzubrechen, die dem Konstrukt Vertrauen eine unfassbare Tiefe geben. In dieser Reihe führe ich Dich Schritt für Schritt durch die 7 Facetten und ergänze sie noch durch eine weitere achte Facette. Brené Brown fasst die 7 Facetten unter dem Akronym BRAVING zusammen. Den Link zu den einzelnen Facetten findest Du hier:
BRAVING: B - Boundaries, R - Reliability, A - Accountability, V - Vault, I - Integrity, N - Non-Judgement, G - Generosity and one more thing: Visibility.
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Quellen:
Brown, B. (2017). Braving the wilderness: The quest for true belonging and the courage to stand alone. Random House.
Edmondson, A. C. (2020). Die angstfreie Organisation: wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. Vahlen.ISO 690
Lyubomirsky et al. (2006). The costs and benefits of writing, talking, and thinking about life’s triumphs and defeats.Journal of personality and social psychology, 90(4), 692.
Lyubomirsky (2005). Pursuing happiness: The architecture of sustainable change. Review of general psychology, 9(2), 111.
Mason et al. (2007). Wandering minds: The default network and stimulus-independent thought. Science,315(5810), 393– 395.
Nembhard, I. M., & Edmondson, A. C. (2011). Psychological safety: A foundation for speaking up, collaboration, and experimentation in organizations. ISO 690
Neff, K. D. (2012). The science of self-compassion.
Seligman (2004). Authentic Happiness: Using the New Positive Psychology to Realize Your Potential for Lasting Fulfillment.New York, NY: Simon and Schuster.
Seligman et al. (2005). Positive Psychology Progress: Empirical Validation of Interventions. American Psychologist, 60(5):410-421
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